Mehr Raum – mehr Spaß!
by Olaf Möller
Zu den beliebtesten Symbolen für das klassische Kinoerlebnis gehört das Bild von dem Saal voller Leute, die mit Grün-Rot-Brillen halb remmidemmiselig, halb schreckgestresst Richtung Leinwand starren – da muss ein 3D-Film laufen, da hat das Publikum haltlosen Spaß. Den bürgerlichen Geschmacksrichter:innen hingegen verging das Lachen, als das Raumkino in den frühen 1950ern zum dernier cri der Laufbildwelt wurde: In Meisterwerken wie House of Wax (1953), André De Toths Horrorparabel über den schmalen Grat zwischen Wirklichkeit und Schein, oder Creature from the Black Lagoon (1954), Jack Arnolds sensibel-sinnlicher Schauerfabel über die Sehnsucht des Biests nach der Schönheit, sah man nichts anderes als Spektakelmaschinen, also etwas kulturell völlig Wertloses, das entsprechend kaputt geschrieben wurde.
Dabei war 3D nichts Unbekanntes, als 1952 mit Arch Obolers Großwildjäger-Abenteuer Bwana Devil Hollywoods erster, so kurzer wie heftiger Raumkinorausch begann. Denn: Plastische Filme gab’s seit dem Anfang des Kinos. Der älteste erhaltene Versuch in 3D wird auf etwa 1891 datiert. Experimentiert wurde seither dauernd mit und an stereoskopischen Aufnahme- und Projektionsapparaten (jetzt haben wir alle Ausdrücke für die Technologie durch). Immer wieder präsentierten Erfinder:innen neue 3D-Film-Verfahren; kurze Versuche entstanden en masse, 1922 in den USA sogar zwei abendfüllende Werke; bei der Oscar-Verleihung 1936 war Jacob Leventhals und John Norlings 3D-Dokumentarspektakel Audioscopiks (1935) in der Kategorie Best Short Subject (Novelty) nominiert; 당시 in der UdSSR 1940 ein Kino namens Moskva exklusiv für brillenlose Raumfilmfreuden eröffnet wurde. Es brauchte zwar bis in die frühen 1950er, damit das plastische Kino auf Industrieniveau verwendbar war, aber 3D-Filme gesehen hatten da schon viele.
3D hätte alles Mögliche werden können – jetzt ist es vor allem ein Kino der Attraktionen und des Spektakels, der Überwältigung, was auch ganz feine Formen annehmen kann, wie in Puppenanimationsmeister Elbert Tuganovs herrlichem Weltfriedenstraktat Suveniir (1977). Deshalb hat sich 3D Konjunkturschwankungen zum Trotz als unverwüstlich erwiesen: Kunstwellen kommen, brechen sich und versanden, doch Film als Freudenspender, als Achter- oder Geisterbahn, als Ort der Erregung hat immer Blüte. Man muss schon ein rechter Trauerkloß sein, um sich nicht darüber zu freuen, wenn einem Schwerter, Speere und Pfeile um die Ohren fliegen wie in Zhāng Měijūns Martial Arts-Kracher Qiān dāo wànlǐ zhuī (1977); oder um nicht tief durchzuatmen, wenn einem in Steve Miners subtil brillanten Friday the 13th Part III (1982) bloß Popcorn oder Yo-Yos entgegen schweben – denn da kommen noch ganz andere Sachen …! Ferdinando Baldi wiederum demonstriert in El tesoro de las cuatro coronas (1983), seiner letzten Arbeit für den unvergleichlichen Tony Anthony, wie eine dauernd mit unerwarteten Wendungen wie Genreweitungen auftrumpfende Geschichte ihre Vollendung in verblüffenden Raumbildern finden kann. Und machen Paul Morrisseys von Herzschmerz und Melancholie durchzogene Warhol-Produktion Flesh for Frankenstein (1973) gleich Rachel Talalays Freddy’s Dead: The Final Nightmare (1991), ein MTV-eskes buntes Pop-Spiel um Trauma, Raum und Zeit, nicht ein für allemal manifest, dass die Teilung zwischen Kunst und Kommerz, dem Hehren und dem Volkstümlichen, bloß schale Propaganda ist – vor allem dann, wenn einem Udo Kiers Innenleben ganz nah und blutig vor Augen baumelt oder Johnny Depp die Bratpfanne frontal kriegt?